Kenias Regierung erteilt Schießbefehl
Jagd auf Anhänger der Mungiki-Sekte fordert 37 Menschenleben
von Stefan Ehlert
NAIROBI. Hunderte Menschen liegen auf den Bäuchen im Dreck. Paramilitärs mit ihren roten Baretts halten die Gewehre auf die hilflose Menge gerichtet. Mit Knüppeln prügeln Polizisten auf junge Männer ein. Zu Hunderten werden sie auf Laster verfrachtet und abgefahren. Im Kampf gegen Angehörige der verbotenen Mungiki-Sekte legen Polizisten und Militärs alle Hemmungen ab, seit Kenias Präsident Mwai Kibaki und sein Sicherheitsminister John Michuki den Schießbefehl erteilten.
Augenzeugen berichten von Exekutionen Verdächtiger, von rücksichtlosem Terror der Polizei. 37 Menschen sollen in der vergangenen Woche in Mathare, Nairobis größtem Slum, von den Sicherheitskräften erschossen worden sein, berichten kenianische Zeitungen. Doch niemand will die Zahlen bestätigen, und in der städtischen Leichenhalle lagen nur acht der Opfer.
Mit Tränengas trieben die Polizisten die Bewohner aus ihren Hütten, mit Schlagstöcken und Warnschüssen hielten sie die aufgebrachte Menge in Schach. Mit Spürhunden durchkämmten sie die ärmlichen Behausungen; ein paar Waffen wurden gefunden. Doch viele der Betroffenen, darunter Frauen und Kinder, haben nur einen Fehler begangen: Sie gehören zu den Ärmsten der Armen und leben in einem Viertel des Slums, das sie "Kosovo" nennen. Hier soll die Mungiki-Sekte eine Hochburg haben.
Schutzgeld erpresst
Die Mungiki, zu deutsch Verbündete, werden für den Tod von neun Polizisten und das Enthaupten von elf Zivilisten seit Mai verantwortlich gemacht. Junge Männer mit nacktem Oberkörper wurden beobachtet, wie sie Plastiksäcke mit zerstückelten Leichenteilen aus dem Slum trugen: Ritualmorde als Antwort auf die Kampfansage der Regierung. Die Sektenanhänger schlachten Abtrünnige, aber auch vollkommen Unbeteiligte ab. Die Hintermänner müssten Kenias Geheimdienst bekannt sein, sagen Oppositionspolitiker, deswegen sei das willkürliche Vorgehen der Polizei gegen ganze Wohnviertel unverständlich.
Ursprünglich traten die Mungiki als Bewahrer von Traditionen der Kikuyu-Ethnie in Kenia auf. Sie warben für die Frauenverstümmelung und bedrohten Frauen, die Hosen statt Röcke trugen. Sie boten sich den Slumbewohnern als Selbstschutzorganisation an. Doch wurde daraus über die Jahre ein Bündnis von Gangstern und Erpresserbanden, eine Mafia.
Ihre Vertreter treiben Schutzgeld ein, dienen sich Politikern als Schläger an und kontrollieren Nahverkehrsrouten. Den Betreibern der Minibusse pressen sie Gebühren ab. Als sie diese im März verdoppeln wollten, wehrten sich die Buseigner. Die Häuser mutmaßlicher Mungiki-Mitglieder gingen in Flammen auf. Daraufhin begann in Nairobi und Umgebung eine schockierende Mordserie, für die Kenias Regierung nun die Mungiki verantwortlich macht.
Schon haben die Slumbewohner massenhaft die Flucht angetreten. Mit wenigen Habseligkeiten und Kindern auf dem Rücken kehrten sie ihren Hütten den Rücken, meist ohne zu wissen, wohin sie sich wenden können.
Die Bevölkerung Nairobis verfolgt die anhaltenden Massaker mit Erschütterung, denn sie befürchtet, die Gewalt könne sich auf andere Slums ausbreiten und zu ethnischen Auseinandersetzungen führen. Auch deshalb will die Regierung jeden Widerstand schnellstmöglich brechen. Im Dezember wird in Kenia gewählt. Das Treiben der Mungiki und die hilflose und überzogene Reaktion des Staates darauf werden den Wählern als Präsident Kibakis größte Schmach im Gedächtnis bleiben.
Berliner Zeitung, 12.06.2007
http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/print/politik/661197.html
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von Stefan Ehlert
NAIROBI. Hunderte Menschen liegen auf den Bäuchen im Dreck. Paramilitärs mit ihren roten Baretts halten die Gewehre auf die hilflose Menge gerichtet. Mit Knüppeln prügeln Polizisten auf junge Männer ein. Zu Hunderten werden sie auf Laster verfrachtet und abgefahren. Im Kampf gegen Angehörige der verbotenen Mungiki-Sekte legen Polizisten und Militärs alle Hemmungen ab, seit Kenias Präsident Mwai Kibaki und sein Sicherheitsminister John Michuki den Schießbefehl erteilten.
Augenzeugen berichten von Exekutionen Verdächtiger, von rücksichtlosem Terror der Polizei. 37 Menschen sollen in der vergangenen Woche in Mathare, Nairobis größtem Slum, von den Sicherheitskräften erschossen worden sein, berichten kenianische Zeitungen. Doch niemand will die Zahlen bestätigen, und in der städtischen Leichenhalle lagen nur acht der Opfer.
Mit Tränengas trieben die Polizisten die Bewohner aus ihren Hütten, mit Schlagstöcken und Warnschüssen hielten sie die aufgebrachte Menge in Schach. Mit Spürhunden durchkämmten sie die ärmlichen Behausungen; ein paar Waffen wurden gefunden. Doch viele der Betroffenen, darunter Frauen und Kinder, haben nur einen Fehler begangen: Sie gehören zu den Ärmsten der Armen und leben in einem Viertel des Slums, das sie "Kosovo" nennen. Hier soll die Mungiki-Sekte eine Hochburg haben.
Schutzgeld erpresst
Die Mungiki, zu deutsch Verbündete, werden für den Tod von neun Polizisten und das Enthaupten von elf Zivilisten seit Mai verantwortlich gemacht. Junge Männer mit nacktem Oberkörper wurden beobachtet, wie sie Plastiksäcke mit zerstückelten Leichenteilen aus dem Slum trugen: Ritualmorde als Antwort auf die Kampfansage der Regierung. Die Sektenanhänger schlachten Abtrünnige, aber auch vollkommen Unbeteiligte ab. Die Hintermänner müssten Kenias Geheimdienst bekannt sein, sagen Oppositionspolitiker, deswegen sei das willkürliche Vorgehen der Polizei gegen ganze Wohnviertel unverständlich.
Ursprünglich traten die Mungiki als Bewahrer von Traditionen der Kikuyu-Ethnie in Kenia auf. Sie warben für die Frauenverstümmelung und bedrohten Frauen, die Hosen statt Röcke trugen. Sie boten sich den Slumbewohnern als Selbstschutzorganisation an. Doch wurde daraus über die Jahre ein Bündnis von Gangstern und Erpresserbanden, eine Mafia.
Ihre Vertreter treiben Schutzgeld ein, dienen sich Politikern als Schläger an und kontrollieren Nahverkehrsrouten. Den Betreibern der Minibusse pressen sie Gebühren ab. Als sie diese im März verdoppeln wollten, wehrten sich die Buseigner. Die Häuser mutmaßlicher Mungiki-Mitglieder gingen in Flammen auf. Daraufhin begann in Nairobi und Umgebung eine schockierende Mordserie, für die Kenias Regierung nun die Mungiki verantwortlich macht.
Schon haben die Slumbewohner massenhaft die Flucht angetreten. Mit wenigen Habseligkeiten und Kindern auf dem Rücken kehrten sie ihren Hütten den Rücken, meist ohne zu wissen, wohin sie sich wenden können.
Die Bevölkerung Nairobis verfolgt die anhaltenden Massaker mit Erschütterung, denn sie befürchtet, die Gewalt könne sich auf andere Slums ausbreiten und zu ethnischen Auseinandersetzungen führen. Auch deshalb will die Regierung jeden Widerstand schnellstmöglich brechen. Im Dezember wird in Kenia gewählt. Das Treiben der Mungiki und die hilflose und überzogene Reaktion des Staates darauf werden den Wählern als Präsident Kibakis größte Schmach im Gedächtnis bleiben.
Berliner Zeitung, 12.06.2007
http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/print/politik/661197.html
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benundclaudia - 12. Jun, 10:49