Herausforderung Massenflucht
Von Antonio Guterres, UN-Hochkommissar für Flüchtlinge
Wir stehen heute vor einer der vielleicht größten Herausforderungen dieses Jahrhunderts. Fast 40 Millionen Menschen sind weltweit heimatlos, weil sie vor Gewalt und Verfolgung fliehen mussten. Wahrscheinlich wird zukünftig die Zahl derer noch ansteigen, die ihre Heimatländer aus ganz unterschiedlichen Gründen verlassen. Viele von ihnen suchen aus wirtschaftlicher Not bessere Lebensperspektiven; Umweltprobleme und Naturkatastrophen spielen ebenfalls eine erhebliche Rolle. Andere werden gezwungen, aus zerfallenen Staaten voller Gewalt und Verfolgung zu fliehen.
Ich habe die letzten Tage im Sudan verbracht, dem Epizentrum eines der größten Flüchtlingstragödien unserer Zeit. Ich habe mit eigenen Augen das furchtbare Leid der betroffenen Menschen gesehen, aber auch einige ermutigende Zeichen des Forschritts.
Die Hoffnung, dass die Globalisierung durch stetes Wachstum auch die Kluft zwischen Reich und Arm verringern könnte, hat sich nicht erfüllt. Gewiss: Der globale Handel hat sich in der Tat ausgeweitet. Doch gleichzeitig geht die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander. Immer mehr Menschen bleibt keine andere Wahl, als anderswo eine neue Zukunft zu suchen. Sie vertrauen sich skrupellosen Banden an, deren neues Milliarden-Geschäft es ist, Menschenschmuggel zu betreiben.
Massenflucht wird durch Klimawandel zunehmen
Der Klimawandel und die Umweltschäden verursachen zunehmend Naturkatastrophen mit dramatischen Konsequenzen für die betroffenen Menschen. Die verschiedenen Modelle des Klimawandels prognostizieren alle ein beängstigendes Bild über zunehmende Massenflucht und Wanderungsbewegungen. Ost-Afrika ist hierfür ein bedrückendes Beispiel. Alle Vorhersagen besagen, dass die Versteppung sich in dieser Region weiter fortsetzen wird. Für die Menschen wird es so immer unmöglicher, ihre Existenz zu sichern. Die Folge: immer mehr Menschen werden versuchen, ihre Heimatregionen zu verlassen. Es fehlt an internationalen Kapazitäten und der Entschlossenheit, auf diese Entwicklungen zu reagieren.
Die Menschen fliehen auch vor Krieg und Verfolgung. Selbst wenn wie in einer Vielzahl von Fällen früh genug gewarnt wurde, hat die internationale Gemeinschaft wiederholt dabei versagt, Konflikte zu verhindern. Statt dessen müssen Organisationen wie das UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) mit den humanitären Auswirkungen fertig werden. Prävention wäre möglich, effektiver und billiger. Aber sie erfordert Weitsicht, politische und diplomatische Anstrengungen sowie eine Investition bei der Bekämpfung der Flucht- und Migrationsursachen, auch deren sozialer und ökonomischer Dimension.
Die Krise in der westsudanesischen Provinz Darfur ist ein aktuelles Beispiel für die damit verbundenen komplexen Zusammenhänge. Der Konflikt hat ökonomische Ursachen, wurde jedoch auch angefacht durch die steigende Konkurrenz um knappe Ressourcen, vor allem Wasser. Ist dieses Problem mit politischen Spannungen verknüpft, sind die Ergebnisse explosiv.
Das relativ neue Konzept der humanitären Intervention geht von der Prämisse aus, Staaten hätten eine Verpflichtung, ihre Bürger zu schützen. Sind sie unfähig oder Unwillens dies zu tun, sollte die internationale Gemeinschaft eingreifen. Heute, infolge der Ereignisse im Irak, hat diese Idee einer internationalen "Verantwortung zu schützen" an Gewicht verloren. Es kann äußerst schwierig sein, Menschen zu helfen, die in ihren eigenen Heimatländern vertrieben wurden und die - anders als Flüchtlinge außerhalb ihres Heimatlandes - nicht durch internationales Recht erfasst werden.
Doch es gibt auch gute Nachrichten. Hier, im abgelegenen Süden des Sudans haben sich Zehntausende von Sudanesischen Flüchtlingen entschlossen, in ihr Heimatland zurückzukehren, obwohl es nach Jahrzehnten des bewaffneten Konflikte verwüstet ist. Weitgehend unbeachtet von der Weltöffentlichkeit kehren die Menschen mit UN-Hilfe aus Flüchtlingslagern in Uganda, der Demokratischen Republik Kongo, Kenia, Äthiopien und der Zentralafrikanischen Republik zurück. Andere kehren aus dem Exil in Libyen und Ägypten sowie aus anderen Regionen des Sudans zurück.
Wie praktisch alle Menschen, die gezwungen sind, vor Gewalt und Verfolgung zu fliehen, träumten die Süd-Sudanesen lange davon, heimzukehren - trotz der vielen Unsicherheiten und der auf sie wartenden Härten. Sie alle verdienen viel mehr Unterstützung als sie bislang erhalten haben.
In vielen Ländern brechen Konflikte immer wieder auf
Am Weltflüchtlingstag (20. Juni) begleite ich Süd-Sudanesen auf ihren Weg zurück aus Uganda. Für uns ist es die größte Genugtuung, einer Flüchtlingsfamilie dabei helfen zu können, heimzukehren. Ihre Rückkehr gleicht einem Hoffungsstreif am Horizont einer von Konflikten erschütterten Region.
Doch selbst wenn Krisen gelöst werden und die entwurzelten Menschen nach Hause gehen können - ihre Probleme bleiben bestehen. In mehr als der Hälfte jener Staaten, in denen zunächst in den letzten Jahren ein Konflikt beigelegt werden konnte, brachen die Auseinandersetzungen nach kurzer Zeit wieder auf. Ein klarer Hinweis darauf, wie unabdingbar es ist, in einer umfassenden Weise den wachsenden komplexen Herausforderungen zu begegnen, die so viele Menschen aus ihren Heimatorten vertrieben haben.
Es ist Zeit zu erkennen, dass wir vor nichts weniger als einem neuen Paradigma von Flucht, Vertreibung und Migration im 21. Jahrhundert stehen. Es gibt keine einfachen Antworten. Die internationale Gemeinschaft muss sich der Ursachen von Flucht und Migration annehmen. Sie muss jedoch auch mehr Aufmerksamkeit darauf verwenden, die hiervon betroffenen Schwachen zu schützen und Perspektiven für ihre Zukunft zu eröffnen.
http://www.fr-online.de/in_und_ausland/politik/aktuell/?sid=0b7534d6572edffce6b26d636e715531&em_cnt=1157488
Wir stehen heute vor einer der vielleicht größten Herausforderungen dieses Jahrhunderts. Fast 40 Millionen Menschen sind weltweit heimatlos, weil sie vor Gewalt und Verfolgung fliehen mussten. Wahrscheinlich wird zukünftig die Zahl derer noch ansteigen, die ihre Heimatländer aus ganz unterschiedlichen Gründen verlassen. Viele von ihnen suchen aus wirtschaftlicher Not bessere Lebensperspektiven; Umweltprobleme und Naturkatastrophen spielen ebenfalls eine erhebliche Rolle. Andere werden gezwungen, aus zerfallenen Staaten voller Gewalt und Verfolgung zu fliehen.
Ich habe die letzten Tage im Sudan verbracht, dem Epizentrum eines der größten Flüchtlingstragödien unserer Zeit. Ich habe mit eigenen Augen das furchtbare Leid der betroffenen Menschen gesehen, aber auch einige ermutigende Zeichen des Forschritts.
Die Hoffnung, dass die Globalisierung durch stetes Wachstum auch die Kluft zwischen Reich und Arm verringern könnte, hat sich nicht erfüllt. Gewiss: Der globale Handel hat sich in der Tat ausgeweitet. Doch gleichzeitig geht die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander. Immer mehr Menschen bleibt keine andere Wahl, als anderswo eine neue Zukunft zu suchen. Sie vertrauen sich skrupellosen Banden an, deren neues Milliarden-Geschäft es ist, Menschenschmuggel zu betreiben.
Massenflucht wird durch Klimawandel zunehmen
Der Klimawandel und die Umweltschäden verursachen zunehmend Naturkatastrophen mit dramatischen Konsequenzen für die betroffenen Menschen. Die verschiedenen Modelle des Klimawandels prognostizieren alle ein beängstigendes Bild über zunehmende Massenflucht und Wanderungsbewegungen. Ost-Afrika ist hierfür ein bedrückendes Beispiel. Alle Vorhersagen besagen, dass die Versteppung sich in dieser Region weiter fortsetzen wird. Für die Menschen wird es so immer unmöglicher, ihre Existenz zu sichern. Die Folge: immer mehr Menschen werden versuchen, ihre Heimatregionen zu verlassen. Es fehlt an internationalen Kapazitäten und der Entschlossenheit, auf diese Entwicklungen zu reagieren.
Die Menschen fliehen auch vor Krieg und Verfolgung. Selbst wenn wie in einer Vielzahl von Fällen früh genug gewarnt wurde, hat die internationale Gemeinschaft wiederholt dabei versagt, Konflikte zu verhindern. Statt dessen müssen Organisationen wie das UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) mit den humanitären Auswirkungen fertig werden. Prävention wäre möglich, effektiver und billiger. Aber sie erfordert Weitsicht, politische und diplomatische Anstrengungen sowie eine Investition bei der Bekämpfung der Flucht- und Migrationsursachen, auch deren sozialer und ökonomischer Dimension.
Die Krise in der westsudanesischen Provinz Darfur ist ein aktuelles Beispiel für die damit verbundenen komplexen Zusammenhänge. Der Konflikt hat ökonomische Ursachen, wurde jedoch auch angefacht durch die steigende Konkurrenz um knappe Ressourcen, vor allem Wasser. Ist dieses Problem mit politischen Spannungen verknüpft, sind die Ergebnisse explosiv.
Das relativ neue Konzept der humanitären Intervention geht von der Prämisse aus, Staaten hätten eine Verpflichtung, ihre Bürger zu schützen. Sind sie unfähig oder Unwillens dies zu tun, sollte die internationale Gemeinschaft eingreifen. Heute, infolge der Ereignisse im Irak, hat diese Idee einer internationalen "Verantwortung zu schützen" an Gewicht verloren. Es kann äußerst schwierig sein, Menschen zu helfen, die in ihren eigenen Heimatländern vertrieben wurden und die - anders als Flüchtlinge außerhalb ihres Heimatlandes - nicht durch internationales Recht erfasst werden.
Doch es gibt auch gute Nachrichten. Hier, im abgelegenen Süden des Sudans haben sich Zehntausende von Sudanesischen Flüchtlingen entschlossen, in ihr Heimatland zurückzukehren, obwohl es nach Jahrzehnten des bewaffneten Konflikte verwüstet ist. Weitgehend unbeachtet von der Weltöffentlichkeit kehren die Menschen mit UN-Hilfe aus Flüchtlingslagern in Uganda, der Demokratischen Republik Kongo, Kenia, Äthiopien und der Zentralafrikanischen Republik zurück. Andere kehren aus dem Exil in Libyen und Ägypten sowie aus anderen Regionen des Sudans zurück.
Wie praktisch alle Menschen, die gezwungen sind, vor Gewalt und Verfolgung zu fliehen, träumten die Süd-Sudanesen lange davon, heimzukehren - trotz der vielen Unsicherheiten und der auf sie wartenden Härten. Sie alle verdienen viel mehr Unterstützung als sie bislang erhalten haben.
In vielen Ländern brechen Konflikte immer wieder auf
Am Weltflüchtlingstag (20. Juni) begleite ich Süd-Sudanesen auf ihren Weg zurück aus Uganda. Für uns ist es die größte Genugtuung, einer Flüchtlingsfamilie dabei helfen zu können, heimzukehren. Ihre Rückkehr gleicht einem Hoffungsstreif am Horizont einer von Konflikten erschütterten Region.
Doch selbst wenn Krisen gelöst werden und die entwurzelten Menschen nach Hause gehen können - ihre Probleme bleiben bestehen. In mehr als der Hälfte jener Staaten, in denen zunächst in den letzten Jahren ein Konflikt beigelegt werden konnte, brachen die Auseinandersetzungen nach kurzer Zeit wieder auf. Ein klarer Hinweis darauf, wie unabdingbar es ist, in einer umfassenden Weise den wachsenden komplexen Herausforderungen zu begegnen, die so viele Menschen aus ihren Heimatorten vertrieben haben.
Es ist Zeit zu erkennen, dass wir vor nichts weniger als einem neuen Paradigma von Flucht, Vertreibung und Migration im 21. Jahrhundert stehen. Es gibt keine einfachen Antworten. Die internationale Gemeinschaft muss sich der Ursachen von Flucht und Migration annehmen. Sie muss jedoch auch mehr Aufmerksamkeit darauf verwenden, die hiervon betroffenen Schwachen zu schützen und Perspektiven für ihre Zukunft zu eröffnen.
http://www.fr-online.de/in_und_ausland/politik/aktuell/?sid=0b7534d6572edffce6b26d636e715531&em_cnt=1157488
benundclaudia - 19. Jun, 11:10