Wednesday, 27. June 2007

Tod auf staubiger Piste

Aids, Malaria, Straßenverkehr - in manchen Ländern Afrikas sind Verkehrsunfälle bereits die dritthäufigste Todesursache. Die Tendenz ist stark steigend. Besonders viele Opfer sind Fußgänger, und darunter die Kinder.

Von Kurt F. de Swaaf

Ein heißer Nachmittag, irgendwo in einem Randbezirk Nairobis. Am Straßenrand steht eine bunt zusammengewürfelte Schar Menschen. Frauen schleppen schwere Einkaufstaschen vom nahen Markt heran, Kinder spielen fröhlich lärmend. Offensichtlich warten alle, aber nicht lange. Schon bald eilt ein weißer Kleintransporter, ein "Matatu", heran und hält. Eine Hand voll Passagiere quillt aus dem Gefährt hervor. Jetzt wird eingestiegen. Man scherzt und kommt sich näher, im wahrsten Sinne des Wortes. Auch die beiden Europäer lachen. Noch.

Jeder Neuankömmling in der mittlerweile 16-köpfigen Fahrgemeinschaft drückt dem Kassierer ein paar kleine Schilling-Scheine in der Hand. Der haut am Schluss zweimal aufs Dach, der Fahrer tritt das Gaspedal durch, und die Höllenfahrt beginnt. Regeln auf der Straße scheint es nicht zu geben. Überholt wird nach Gusto, nicht nach Verkehrssituation. Den Schweiß auf der Stirn verdanken die Fremden schon bald nicht nur der Hitze. Die anderen Reisenden bleiben dagegen erstaunlich gelassen. Alltag auf Kenias Straßen.

Matatus mögen das Rückgrat des hiesigen Personenverkehrs sein, für Leib und Leben stellen sie eine ernsthafte Bedrohung dar. Die Waghalsigkeit ihrer Fahrer ist berüchtigt. Jährlich sterben in Kenia mehr als 3000 Menschen bei Verkehrsunfällen, überfüllte Kleintransporter und Busse spielen in dieser tragischen Bilanz die Hauptrollen. Laut offiziellen Statistiken entspricht dies etwa 68 Toten pro 10.000 Fahrzeugen, eine der höchsten Raten der Welt. In reichen Industrieländern liegt der Durchschnitt bei 1,7.

Analayse: Zahl der Verkehrstoten steigt um 80 Prozent bis 2020

Anderswo in Afrika sieht es nicht besser aus. Die Teilnahme am Straßenverkehr - egal in welcher Form - ist auf diesem Kontinent schon längst zu einem sicherheitstechnischen Vabanquespiel verkommen. Auf Äthiopiens Pisten sind gar 134 Opfer pro 10.000 Fahrzeugen zu beklagen. In manchen Ländern südlich der Sahara fordert der Verkehrstod scheinbar den dritthöchsten Tribut an Menschleben, nach Malaria und Aids. Zuverlässige Zahlen sind jedoch Mangelware. Nur wenige Experten interessieren sich für die Problematik, weshalb es auch weitgehend an wirksame Lösungsansätzen fehlt.

Emmanuel Lagarde will sich damit nicht abfinden. Der französische Arzt war jahrelang in Sachen Aids-Prävention auf afrikanischem Boden tätig und arbeitet jetzt als Experte für Sicherheit im Straßenverkehr am Institut National de la Santé et de la Recherche Médicale in Bordeaux. "Verkehrsunfälle sind leichter zu bekämpfen als HIV", betont er im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Um mögliche Wege aus der Misere aufzuzeichnen, hat Lagarde in der neuesten Ausgabe des Internet-Fachmagazins "PLoS Medicine" eine Analyse der aktuellen Verkehrslage Afrikas veröffentlicht. Das Ergebnis ist beunruhigend: Bis 2020 wird dort die Zahl der Verkehrstoten voraussichtlich weiterhin stark ansteigen, auf jährlich circa 144.000 Opfer. In Vergleich zum Jahr 2000 entspreche dies einer Zunahme von 80 Prozent.

Die überladenen Gefährte und mangelhafte medizinische Versorgung gehören zu den Hauptursachen für den stetig wachsenden Blutzoll. "Oft sind bei einem einzigen Unfall viele Menschen betroffen", erklärt Emmanuel Lagarde. "Bis zu 30 Todesopfer, und die Hälfte von ihnen stirbt nach dem Zusammenstoß, bevor Hilfe eintrifft." Weitere Faktoren sind der schlechte Zustand vieler Straßen und Fahrzeuge sowie Alkoholkonsum und eine kaum stattfindende Verkehrsaufsicht. Polizisten greifen oft nicht ein oder sind bestechlich. Korrupte Beamte verkaufen Führerscheine und Lizenzen.

Mehr als die Hälfte sind Fußgänger

Bei der Weltgesundheitsorganisation ist man sich der Problematik bewusst und hat die Notglocke geläutet. 2004 wurde erstmals ein "Weltbericht" zum Thema Verkehrssicherheit herausgegeben. Hierin kam ein weiteres Entwicklungsproblem zur Sprache: Es gibt zu wenig Straßen und zu unterschiedliche Verkehrsteilnehmer. Häufig müssen sich alle eine einzige Trasse teilen. "Die starke Durchmischung des Verkehrs ist ein sehr ernstes Problem", erklärt Tami Toroyan, WHO-Expertin für Sicherheit im Straßenverkehr. "Meistens erwischt es Menschen, die sich selbst kein Auto leisten können." In einigen Regionen Afrikas sind mehr als die Hälfte der Verkehrsopfer Fußgänger, viele davon sind jünger als 16 Jahre. "Wir müssen vor allem für Kinder sichere Räume schaffen, Spielplätze und abgegrenzte Schulwege", sagt Toroyan.

Kulturelle Eigenheiten dürften ebenfalls eine gewichtige Rolle spielen. Im Rahmen einer bereits 1999 publizierten Studie befragte die britische Wissenschaftlerin Rachael Dixey Angehörige des in Südwesten Nigerias ansässigen Yoruba-Volkes nach ihren Ansichten zum Thema Verkehrsunfälle. Die Antworten zeugten - aus europäischer Sicht - von einem hohen Maß an Fatalismus. Das traditionelle Weltbild der Yoruba ist geprägt vom Glauben an Vorbestimmung. Oludamare, der Lebensschöpfer, hat demnach das Schicksal eines jeden Menschen schon vor seiner Geburt weitgehend festgelegt.

Verkehrsopfer haben eben gegen göttliche Regeln verstoßen oder wurden Zielscheibe für Hexerei. Wer in die Zukunft blicken will, geht zum Ifa-Priester. Der kann einem sagen, ob es sicher ist zu verreisen. In einem solchen kulturellen Umfeld haben es Präventionsprogramme naturgemäß schwer. Allerdings weist Dixey zusätzlich darauf hin, dass religiöser Fatalismus durch Perspektivlosigkeit im Diesseits verstärkt wird. Mit anderen Worten: Wer arm ist und keine Macht über seine Zukunft hat, wird sich eher dem Schicksal ergeben. Auch diesbezüglich ist Verkehrssicherheit untrennbar mit wirtschaftlicher Entwicklung verbunden.

Musterschüler Ruanda

Gibt es keine positiven Meldungen? Doch, und zwar aus einer Ecke Afrikas, die bis vor kurzem noch als Hort des Grauens galt: Ruanda. Das kleine, 1994 von Bürgerkrieg und Völkermord zerfleischte Land am Kivu-See hat sich in den letzten sechs Jahren zum verkehrspolitischen Musterschüler gemausert. Seine Regierung startete 2001 ein umfassendes Programm zur Verbesserung der Sicherheit auf den Straßen. Neue Regelungen für Tempolimits, Fahrzeuginspektionen und Promillegrenzen wurden erlassen, das Tragen von Sicherheitsgurten Pflicht. Hohe Geldstrafen brachten seitdem auch Unbelehrbare zur Einsicht. Zusätzlich führten die Behörden in Zusammenarbeit mit der WHO eine Aufklärungskampagne. Der Erfolg blieb nicht aus, die Zahl der Verkehrstoten sank fast schlagartig um 30 Prozent. "Veränderung ist möglich", meint Tami Toroyan trocken. In ihrer Stimme ist keine Spur von Zweifel.

http://www.spiegel.de/auto/aktuell/0,1518,490929,00.html

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